Wer sich in der Trauergemeinde jetzt in diesem Moment das Bild von Horst Niewrzol vor Augen ruft, der wird vermutlich folgendes sehen: Einen Mann voller positiver Energie und sportlicher Ausstrahlung, einen Mann, dessen Gesicht vor Unternehmungslust strahlt und der, immer im Team mit seiner ihm unentbehrlichen Frau Ulla, die kompliziertesten Projekte entschlossen anpackt und durchzieht. Noch im Januar dieses Jahres haben wir ihn genau so erlebt – mit federndem Gang und immer einem Lächeln und einer witzigen Anekdote auf den Lippen.
Jetzt hat uns dieser wunderbare Mensch verlassen und wir sind tief erschüttert und sehr traurig, einen so wertvollen und unersetzlichen Freund zu verlieren zu müssen. Umso wichtiger scheint es, Horst in unserer Erinnerung lebendig zu halten mit seinem reichen, erfüllten und von Liebe und Zuwendung geprägten Leben.
Die eigentliche Geschichte des Horst Niewrzol beginnt nicht bei seiner Geburt am 22. September 1939. Die eigentliche Geschichte beginnt im Sommer 1956, einem magischen Sommer, in dem die Weichen für den Rest seines Lebens gestellt werden. Er war ein Teenager von 16 Jahren, also fast noch ein Kind, aber er wusste schon damals ganz genau, was er wollte und das, was er wollte, war ein hinreißendes Mädchen namens Ursula.
Er hatte sie schon eine ganze Weile im Auge, bevor er schließlich den Mut fasste, sie auf der Hamborner Kirmes anzusprechen. Zwischen den beiden funkte es, und zwar so nachhaltig, dass diese Funken nie mehr verlöschten.
Auch in dieses Kapitel spielt schon ein weiteres großes Lebensthema herein, denn im Jahr 1957 wurde Horst stolzer Besitzer seines ersten Fahrrades. Dafür hatte er sogar das Angebot, ein Moped zu fahren, abgelehnt. Klar, dass er mit seinem neuen Rad und seiner neuen Freundin, die auch sehr gerne in die Pedale trat, ausgedehnte Touren unternahm. So wuchs zusammen, was zusammen gehörte und vier Jahre später wurde Hochzeit gefeiert. Damit war das Dreamteam Ulla-Horst, so wie wir es kennen und schätzen, geboren. Keiner von beiden wollte fortan auch nur einen Schritt ohne den anderen tun.
Bald schon wurde das Ehe-Glück perfekt durch die Geburt zweier wunderbarer Kinder, Petra und Bernd, die das Paar gehörig auf Trab hielten. Um seine junge Familie gut versorgen zu können, wechselte Horst von seiner ursprünglichen Profession als Steinmetz und Bildhauer nach Thyssen, wo er als Schweißer finanziell deutlich besser gestellt war. Besondere Freude gab es im Hause Niewrzol eine Generation später dann über die drei Enkelkinder Tobias, Viktoria und Marlen, mit denen Horst und Ulla gerne und viel Zeit verbrachten und sich an ihrer guten Entwicklung erfreuten.
Der Sport spielte schon früh eine bedeutende Rolle in Horsts Leben. Hatte er zunächst intensiv Fußball bei 1890 Hamborn gespielt, entdeckte er bald, dass Fahrradfahren für ihn wie geschaffen war. Eine große Bedeutung hatte der Kontakt zu den Fahrradhändlern und Radsportenthusiasten Günther Sander und Heinz Geiling (Heigei). Diese Männer erkannten sein außergewöhnliches Talent und gaben dem jungen Sportler wesentliche Impulse für seine weitere Laufbahn. Zum Beispiel die Aufforderung, doch unbedingt einem Fahrradverein wie dem TV Wesel beizutreten und dort an RTFs und Wettkämpfen teilzunehmen. Horst zögerte nicht lange und schon bald konnte man sich beim TV Wesel über einen Neuzugang freuen, der vor Ehrgeiz platzte, der schnell lernte und sich die Welt des Radsport erfolgreich eroberte.
Neben eisenharter Disziplin und Trainingsfleiß kam ihm eine wesentliche Charaktereigenschaft dabei zugute: Die positive Grundeinstellung. So notierte er: „Ich denke nur positiv, sogar meine Blutgruppe ist positiv, aber Rennerfolge sind keine Zufälle!“ Und an einer anderen Stelle schrieb er: „Wenn Du irgendwann den Anspruch erheben willst, zu den besten zu gehören, musst Du auch Deinen Lebenswandel danach ausrichten. Die Psyche muss top sein, Du musst von Deiner eigenen Stärke überzeugt sein.“
Den ersten großen internationalen Titel errang er mit dieser Einstellung 1994 bei der WM in England, wo er Senioren-Weltmeister im Einzelzeitfahren wurde. Diesem Titel sollten noch zwei weitere WM-Titel im Einzelzeitfahren und ein WM-Titel im 1km-Sprint folgen.
Insgesamt hat er sich im Laufe seiner Radsportkarriere beeindruckende 227 erste Plätze erkämpft – stets unterstützt und begleitet von seiner Frau.
Vielleicht aber noch wertvoller und auf jeden Fall wirkungsvoller, als die lange Reihe seiner sportlichen Erfolge ist die große Vorbild- und Motivationsleistung, mit der er zahllose Menschen zum Fahrradfahren brachte und sie mit seiner Begeisterung für den Radsport so ansteckte, dass viele von ihnen selbst zu erfolgreichen Radfahrern wurden – z.B. Jens Volkmann oder Jörg Heinrich, die ebenfalls Weltmeister wurden. So organisierte er für den Radrennclub Duisburg hochkarätige Wettkampf-Events, an den Größen wie Eric Zabel und Jens Heppner teilnahmen und rief 1993 den Duisburger Zeitfahrcup ins Leben, dessen ersten Seniorencup er auch prompt gewann – die Pokale stiftete er aus eigener Kasse.
Wollte man ein Fazit dieser beeindruckenden Wirkungsgeschichte ziehen, könnte man dies in einer einfachen Gleichung tun: „Radsport in Duisburg“ gleich „Horst Niewrzol“. Und da kommt ein weiteres tragendes Merkmal der Persönlichkeit von Horst zum Tragen: die Treue und Verbundenheit zu seiner Heimatstadt Duisburg und die warmen Gefühle für seinen Stadtteil Hamborn.
Und wie schon als junger Mann, redete er nicht nur, sondern packte an und engagierte sich politisch, als er erkannte, dass in Hamborn ganz gründlich etwas schief zu laufen drohte. So gründete er 2011 – den Rücken wie immer gestärkt durch seien Frau – bei sich zu Hause eine Bürgerinitiative mit dem Ziel, das seiner Meinung nach irrsinnige Projekt „Factory Outlet Center“ zu verhindern. Hintergrund: Die gesamte Siedlung am Zinkhüttenplatz sollte für ein Outletcenter abgerissen und damit die Heimat hunderter Menschen zerstört werden. Durch Protestaktionen, Gespräche, Plakate und gekonnte Diplomatie bis ins Rathaus kämpfte Horst gegen das scheinbar Unausweichliche. Er notiert dazu: „In unserer Sache FOC habe ich weit über 600 Artikel verfasst, aber nie Kritik erfahren.“ Und wie immer, wenn Horst sich mit Leib und Seele und ganzer Kraft engagierte, war sein Handeln von Erfolg gekrönt: Das Outletcenter wurde nicht gebaut und die Zinkhüttensiedlung steht heute noch.
Dieses kleine Streiflicht auf das reiche und erfüllte Leben von Horst Niewrzol macht uns noch einmal deutlich, wie groß der Verlust ist, den wir alle und ganz besonders seine Frau Ulla und seine Kinder und Enkel, erlitten haben. Ein großer Trost ist, dass die ganze Familie in der schweren Zeit vor seinem Tod eng zusammenstand und er bis zum letzten Atemzug Liebe, Geborgenheit und Rückhalt seiner Lieben erfahren durfte. Er war im Leben immer unter Leuten und auch am Ende waren liebe Menschen um ihn. Besonderen Dank an Doro, die sich in den letzten Monaten so um Horst gekümmert hat.
Wir wollen Horst so in positiver Erinnerung behalten, wie auf dem Bild, das wir uns zu Anfang dieses Rückblicks von ihm gemacht haben: Als einen Mann mit einem strahlenden Lächeln und blitzenden Augen und als einen Mann, der wusste, worum es im Leben geht.
Und wenn es einen Himmel für Radfahrer gibt, dann wäre Horst der richtige Vorsitzende.